Sollte jemand von diesen Absendern Probleme mit der Veröffentlichung der eigenen Briefe haben und sich nicht in der Lage sehen die eigenen Positionen ggf. in einem Schriftwechsel mit einer Drittperson zu rechtfertigen, sind wir selbstverständlich dazu bereit die Kontaktdaten zu anonymisieren. Hierfür schicken Sie bitte ein Email an info@honestly-concerned.org.
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seit der Neugründung nach 1945 verstehen sich jüdische Organisationen in ihrer Gesamtheit als das moralisch legitimierte, gewissermaßen institutionalisierte Gewissen Deutschlands. Ihre Repräsentanten sollen Mahner vor dem Vergessen und Verdrängen der Nazivergangenheit und Warner vor einer Wiederholung des Geschehenen in der Zukunft sein.*
Dieser hohe Anspruch setzt politisches und gesellschaftliches Augenmaß, Dialogbereitschaft, Integrationsfähigkeit, Toleranz und vor allen Dingen die Bereitschaft zu einem vorurteilsfreien Aufeinanderzugehen voraus. Sind diese Eigenschaften nicht sehr ausgeprägt, verstärkt sich die Tendenz zu voreingenommenem Schlussfolgern. Dieses Phänomen zeigt sich momentan in den pauschalen Schuldzuweisungen einiger Funktionäre des Zentralrates der Juden recht deutlich. Christlich, humanistisch oder liberal motivierte Israelkritik wird vorschnell zum Antisemitismus umgedeutet und persönliche Animositäten als Judenfeindlichkeit etikettiert. Diese Tendenz gewinnt an Bedeutung, weil eigenes Verhalten gegenüber anderen immer auch deren Verhalten mitbestimmt (soviel zur Antithese "Der Jude sei selbst Schuld an seinem eigenen Unglück"). Werden große Bevölkerungsgruppen permanent, undifferenziert und in inflationärer Weise mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert, revanchieren sie sich mit Ablehnung und bestätigen so nur die möglicherweise irrigen Prognosen. Das Phänomen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung ist somit sinnfällig vor Augen geführt.
Jede Partei und jeder einzelne Politiker, der aus wahltaktischem Opportunismus oder falsch verstandener Solidarität zum Zentralrat der Juden den Begriff des Antisemitismus undifferenziert instrumentalisiert, handelt verantwortungslos an der Gesamtheit der Bevölkerung. Niemandem, auch nicht den Juden in Deutschland, ist mit dieser „einäugigen" Haltung der politischen und medialen Öffentlichkeit wirklich gedient. Sie nützt allenfalls den echten Antisemiten, die sich aber ohnehin hauptsächlich in rechtsradikalen Schmuddelclubs austoben. Zu einem gedeihlichen, vorurteilsfreien Umgang aller gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland gehört maßgeblich die konstruktive Kritik, der sich niemand mit dem Hinweis auf einen eventuellen Sonderstatus entziehen oder mittels Rundumschlägen mit der moralischen Keule entgegentreten dürfte. Von der nächsten Bundesregierung, gleich in welcher Zusammensetzung, erwarte ich eine klare vorurteilsfreie Einstellung zu allen rassischen, ideologischen und religiösen Gruppierungen Deutschlands, soweit sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, ohne Bevorzugung oder Benachteiligung von Minder- oder Mehrheiten.
So wie ich empfinden viele meiner Freunde und Bekannten, und Sie sollten den politischen Unmut, der die Ursache für dieses Schreiben ist, im Sinne des oben Angeführten, ebenso ernst wie Ihre eigenen Bedenken nehmen.
*In welcher Weise der Zentralrat gegenwärtig diese Funktion erfüllt, können Sie aus folgender Kolumne der Jüdischen Allgemeine (online-Ausgabe) entnehmen. Der Geschäftsführer dieser Zeitung ist Herr Dr. Michel Friedman.
Wenn deutscher Populismus fröhliche Urständ feiert
Deutsche Demokraten im Bundestagswahlkampf 2002
Tu felix Germania: Während anderswo Rechtsradikale wie Fini, Haider oder LePen bei Urnengängen alle Rekorde brechen, sind die deutschen Führer sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden. SS-Mann Franz Schönhuber sind seine "Republikaner" abhanden gekommen und denen ihre Wähler, Gerhard Frey muß seine millionenschweren Investitionen in die Deutsche Volksunion (DVU) nach deren jüngsten Pleiten abschreiben, in der NPD zerfleischen sich nationalrevolutionäre Werwölfe und die ehrenwerten Herren des Verfassungsschutzes. Selbst der Shooting Star der Szene, der Hamburger Rechts-Sprecher Ronald Schill, ist schon wieder auf dem absteigenden Ast, seit er an weißem Pulver geschnüffelt haben soll, wenn auch - nach dem Vorbild von Bill Clinton - ohne zu inhalieren.
Der Nazismus ist tot, es lebe die Spaßgesellschaft: Brandenburger Tor und Siegessäule stehen nicht mehr für Preußens Gloria und Adolf Hitler, sondern für die Love Parade und DJ Dr. Motte. In der Politik kann nur noch etwas werden, wer sich im Container von "Big Brother" beworben hat. The times, they are a-changing: Adenauer war verknöchert, Schmidt zu steif, Kohl provinziell - unsere Neuen tragen Armani, hatten mindestens drei Ehefrauen respektive Lebensabschnittsgefährtinnen, hören Missy Elliot und sprechen fließend Denglish. Deutschland ist hip.
Wie wenig damit gewonnen ist, zeigt sich aktuell im Bundestagswahlkampf. Stilbildend ist vor allem die FDP: Die Liberalen, die anstelle der DVU in den Landtag von Sachsen-Anhalt eingezogen sind, haben sich auf ihrem Mannheimer Bundesparteitag bumsfidel wie ein Karnevalsverein präsentiert. Im Elferrat saßen die alten Kämpen, die Närrinnen und Narralesen im Publikum waren mit gelben Blechorden dekoriert, Prinz Guido fuhr im Guidomobil vor, Graf Lambsdorff rollte ihm den Teppich aus. Eine Büttenrede jagte die nächste: Runter mit den Steuern, rauf mit der Bildung, weg mit dem Rentensystem, wir verjuxen unser Oma ihr klein Häuschen. Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt? Keine Sorge, der Euro hat den Karlspreis bekommen. Einen Höhepunkt erreichte die Stimmung, als das Ruhrpottoriginal Möllemann mit triefender Nase eintraf. Ein Selbstmordattentäter steht vor der Tür - wolle mer ihn roilasse? Dreifacher Tusch, Hamas Helau, und dann Narhallamarsch. Im Wahlprogramm wurde der palästinensische Terror klar verurteilt - dank Westerwelles guter-Laune-Terror wird das eh niemand lesen wollen. Den Rest erledigt die blonde Generalsekretärin, ein veritables Funkenmariechen, und wer über Mölles Knaller nicht lachen kann, heißt vielleicht Hamm-Brücher oder Leutheusser-Schnarrenberger und ist schon qua Bindestrich ein Relikt aus den freudlosen siebziger Jahren.
Auch der Kanzler ist gut drauf. Allein schon die Idee, am 8. Mai, bis dato eher ein Volkstrauertag Weizsäckerscher Provenienz, einen Hypnotiseur vom Bodensee zu einer Talkshow zu laden, war ziemlich originell. Spaßverderber war einmal mehr der Zentralrat der Juden in Deutschland. Aber das bringt einen Martin Walser nicht aus der Fassung. Der Magier stellte das Publikum gleich zu Anfang auf die Probe, als er sich als Schriftsteller vorstellen ließ. Da keiner protestierte, wußte er, daß die Wirkung schon eingesetzt hatte - rollende Augen, langgezogene Vokale, nach oben überkippende Stimme, eigentlich uralte Tricks, aber immer noch wirksam, wenn die Menschen keine innere Blockade aufbauen. Sie bauten nicht,und deswegen schob er nach seiner "Auschwitzkeule" auch gleich noch eine weitere Keule nach, die wirklich soooo einen Bart hat: Wie die braven Deutschen in Versailles gequält wurden und deshalb eigentlich keine andere Wahl hatten, als Adolf zu wählen und KZs zu bauen. Dem Kanzler war es zwischenzeitlich blümerant, aber er zog tapfer die Mundwinkel an die Ohren, keep smiling, es geht schließlich um Wählerstimmen. Versailles, so beruhigte er die Gemüter, sei nicht die, sondern nur eine Ursache für das Unaussprechliche gewesen. Er selbst steuerte dann noch die Grille bei, wie die Deutschen als eigentliche Opfer der Nazis 1954 von Sepp Herberger befreit wurden. Die Volte zum Fußball kam so gut an, daß er einen Tag später Franz Beckenbauer mit nach Kabul nahm. Im Sommerloch dominiert sowieso die Fußball-WM die deutschen Stammtische, wer wird da noch über Afghanistan, Arbeitslosigkeit oder Israel reden wollen?
Überhaupt: Israel. Das kann den Deutschen schon den Spaß verderben. Aber damit ist jetzt Schluß, auch dafür hat der Kanzler schon einen Vorschlag gemacht. Unsere Jungs kostümieren sich mal wieder mit dem Blauhelm - das hat schon in Bosnien geklappt - und gehen da runter und schaffen Ordnung, aber zack zack. Nix Peacekeeping, "Druck von außen" muß sein, die Kriegsparteien müssen zur Not auch getrennt werden, so der Kanzler. Das bedeutet: Einsatz militärischer Gewalt. Das bedeutet: Tote Juden als potentieller Kollateralschaden neuer deutscher Realpolitik. Kaum einer hat's gemerkt. Koalitionskrise? Rücktrittsforderung? So verbissen sind die Deutschen nicht, man wird doch noch einen Vorschlag machen dürfen. Nur ein altbackener Vertreter der Friedensbewegung blieb im Bundestag störrisch: "Vor dem Hintergrund unserer Geschichte wird es im Nahostkonflikt einen Einsatz deutscher Soldaten - selbst unter Uno-Mandat - mit unserer Zustimmung nicht geben." So dogmatisch-pazifistisch sprach der Kanzlerkandidat der Union, Edmund Stoiber. Die PDS, von der man solche Worte eher erwartet hätte, zeigte sich hingegen von ihrer kabarettistischen Seite: "Herr Bundeskanzler, es genügt nicht, die Kritik an der israelischen Politik in mahnend milde Botschaften zu hüllen", kritisierte Fraktionschef Roland Claus. Also keine UN-Blauhelme auf den Golan schicken, sondern gleich Panzerstoßtruppen aus der Erwin-Rommel-Kaserne? Doch Stoiber wäre nicht Bierzelttauglich, wenn er immer so moderat wäre. Wenn die Egerländer Musikanten spielen, langt der Bayer zünftig zu. Die Tschechen müssen sich bei den Sudetendeutschen entschuldigen und die Gesetze zur Ausweisung und Enteignung der Nazikollaborateure nach 1945 die Benes-Dekrete aufheben, sonst dürfen sie nicht in die Europäische Union. Im Gegenzug können die sogenannten Vertriebenen dann von Prag Reparationen und Restitutionen fordern. Die Untoten aus dem Gruselkabinett der Weltgeschichte feiern Halloween, wenn Dr. Motte und das Auswärtige Amt die erste Love Parade in Prag organisieren.
von Jürgen Elsässer , 22. Mai 2002